Ein Text an all diejenigen, für die Suizid eine Option ist. (von Brandy Lidbeck)
Im Jahr 2005 war alles was ich wollte, einfach nur zu schlafen. Jedoch waren jedes mal, wenn ich mich hingelegt habe, die rasenden Gedanken in meinem Kopf endlos. Ich war müde und erschöpft, aber konnte nie mehr als ein oder zwei Stunden schlafen. Ich war die ganze Nacht wach, jede Nacht, auch wenn ich fast verzweifelt bin, weil ich einfach nur schlafen wollte. Die Nächte waren die Hölle, und die Tage waren hoffnungslos.
Ich wollte diesen Schmerz endlich beenden.
Ich glaubte, das Leben würde immer so schrecklich weitergehen. Ich habe aufgehört zu lächeln und zu lachen, zur Arbeit zu gehen war eine riesen Anstrengung. Mein Psychiater hat bei mir dann eine Depression diagnostiziert. Als das Jahr so weiterging, war ich der Überzeugung, dass mein einziger Ausweg sein würde, meinen Schmerz für immer zu stoppen. So habe ich angefangen meine Tage damit zu verbringen mir Gedanken darüber zu machen, wie ich mein Leben beenden könnte.
Ich habe nicht viel über die Menschen nachgedacht, die ich zurücklassen würde, oder was für eine Auswirkung das auf sie haben würde. Ich war mir sicher, dass es den Anderen ohne mich vermutlich sogar besser gehen würde. Hauptsächlich habe ich daran gedacht diesen Schmerz zu beenden. Ich war single, hatte keine Kinder und lebte in einem anderen Staat als der Rest meiner Familie. Sie würden nicht mal merken, dass ich weg sein würde. Also habe ich eines Tages die Zeit während der Arbeit genutzt und zwei Abschiedsbriefe geschrieben – einen an meinen Vater und einen an einen Freund. Ich schrieb ihnen, dass sie sich keine Schuld geben sollten, ich wollte nur einfach nicht mehr am Leben sein. Ich unterschrieb die Briefe, versiegelte und adressierte sie. In dieser Nacht würde ich es beenden.
Es war nur ein Gespräch. Doch es rettete mein Leben.
Als ich von der Arbeit nach Hause fuhr, war ich trotz allem in der Lage die Ironie zu erkennen: Mein ganzes Leben lang hasste ich meine Mutter dafür, dass sie sich das Leben genommen hatte, und hier war ich, Abschiedsbriefe in der Hand, drauf und dran dasselbe zu tun. Darüber machte ich mir aber keine Gedanken, ich wollte einfach nur diesen Schmerz beenden. Als ich zu Hause ankam, bemerkte meine Mitbewohnerin, dass es mir nicht besonders gut ging und hörte nicht auf zu fragen, was los war. Irgendwann, nach langem Zureden, erzählte ich ihr: „Ich habe seit Wochen geplant mir das Leben zu nehmen und heute ist es soweit. Ich kann nicht mehr.“
Wir redeten, ich weinte, ich erzählte ihr wie hoffnungslos und verzweifelt ich war und dass ich einfach für immer mit diesem Leben abschließen wollte. Sie sagte ein paar von diesen typischen Dingen, die man Menschen sagt, die es in Erwägung ziehen sich das Leben zu nehmen: „Du bist wichtig. Du wirst geliebt. Das Leben wird besser werden. Es wird uns nicht besser gehen ohne dich. Blablabla.“ Ich glaubte ihr nicht, aber irgendwann habe ich ihr versprochen mich in dieser Nacht nicht umzubringen, sondern am Leben zu bleiben und am nächsten Tag zu meinem Psychiater und meiner Therapeutin zu gehen. Sie hat mich in den folgenden Tagen und Wochen sehr genau im Auge behalten.
Ich gab dem Leben eine neue Chance.
Mein Arzt erhöhte meine Medikamente und ich traf mich regelmäßig mit meiner Therapeutin. Ich unterschrieb unzählige Verträge, in denen ich versprach mir in den nächsten Monaten nichts anzutun, und ich schrie zu Gott, dass er mir erlaubte „wie meine Mutter“ zu sein, trotz meiner starken Entschlossenheit nie so zu werden wie sie.
Es war schrecklich und hart und die meiste Zeit dachte ich mir: „Was ist der Sinn hinter alldem?“ Nach einer Weile haben sich die Dinge aber angefangen zu verändern. Da war plötzlich ein Hoffnungsschimmer, der mir sagte, dass das Leben vielleicht, aber nur vielleicht, nicht immer so schlimm sein würde. Ich war nicht länger besessen von dem Gedanken mein Leben zu beenden und ich habe angefangen wieder mehr mit meinen Freunden zu unternehmen. Ich habe gemerkt, dass ich wieder öfters gelächelt, regelmäßiger geschlafen und mich manchmal sogar auf das Leben gefreut habe. Irgendwann hat mein Arzt aufgehört mir meine Medikamente zu verschreiben.
Es lohnt sich immer, nicht aufzugeben!
Heute, einige Jahre später, bin ich verheiratet, habe drei Kinder und ich liebe mein Leben. Ich bin so dankbar, dass ich es nicht in dieser Oktobernacht 2005 beendet habe. Ich bekomme Tränen in den Augen, wenn ich jetzt daran denke, was ich alles verpasst hätte.
Wenn du darüber nachdenkst dir das Leben zu nehmen, dann lass mich dir ein paar Dinge sagen. Du bist wichtig. Du wirst geliebt. Das Leben kann und wird besser werden. Es wird nicht immer so bleiben. Ich weiß, es ist schmerzhaft und du bist hoffnungslos und verzweifelt. Du willst einfach nur deinen Schmerz beenden. Ich verstehe das.
Jetzt wo ich hier stehe und es durch die schwerste und dunkelste Zeit, die ich mir jemals hätte vorstellen können, geschafft habe, kann ich dir sagen, dass mein Gehirn nicht besonders gut funktioniert hat, wenn Selbstmord damals eine Option gewesen ist
Zu der Zeit dachte ich, es wäre der einzige Ausweg. Aber jetzt wo es mir so viel besser geht, erkenne ich, dass mein Verstand mich belogen hat. Mein Verstand hat mir erzählt, dass ich wertlos wäre und es niemandem etwas ausmachen würde, wenn ich sterben würde. Mein Schmerz hat mich erstickt und ich dachte, der Tod wäre die einzige Erlösung. Mein kranker Verstand war nicht in der Lage klar zu denken, deswegen war ich mir so sicher in der Entscheidung mir das Leben zu nehmen. Mein Verstand hatte mich angelogen.
Mittlerweile arbeite ich mit Menschen, die eine geliebte Person durch Suizid verloren haben. Wenn ich mit ihnen spreche, kann ich ihren überwältigenden Schmerz, den sie jeden Tag durchleben, spüren. Sie sind so verzweifelt, weil sie diese geliebte Person so vermissen und geben sich selbst die Schuld, weil sie die, die sich dafür entschieden haben zu sterben, nicht retten konnten. Ich kenne diesen Schmerz aus eigener Erfahrung. Ich glaube, der Suizid meiner Mutter hatte einen großen Anteil an meinem eigenen Wunsch mir das Leben zu nehmen. Die Scham und die Schuld, die ich seit ihrem Selbstmord in mir herumgetragen habe, waren zu viel für mich und kombiniert mit meiner eigenen Depression, haben sie mich verschlungen.
Du bist es wert, Hilfe zu bekommen.
Wenn du darüber nachdenkst dir das Leben zu nehmen: Bitte tu’ es nicht! Ich kann dir aus eigener Erfahrung sagen, dass der Selbstmord meiner Mutter selbst nach 25 Jahren noch eine Auswirkung auf mich hat. Die Menschen, die es in Erwägung ziehen sich umzubringen, sagen oft „Du verstehst es nicht“ zu anderen, wenn sie über den Schmerz sprechen, den sie jeden Tag durchleben. Ich verstehe es. Ich hatte meine Abschiedsbriefe schon geschrieben und adressiert. Glaube mir, ich verstehe dich.
Überlege dir nur mal für einen Moment, dass vielleicht du derjenige/diejenige bist, die es nicht versteht. Vielleicht ist dein Verstand krank wie meiner es war und redet dir ein, dein Leben zu beenden, weil es niemals besser werden wird und dich sowieso niemand vermissen würde. Überlege dir nur mal für einen Moment, dass es dir nicht gut geht, wenn dein Gehirn sogar Selbstmord in Erwägung zieht. Das ist nichts wofür man sich schämen muss. Ich sage das, weil ich davon überzeugt war, dass mein Leben hoffnungslos sei. Heute sage ich mir regelmäßig „Ich liebe mein Leben!“ Es gibt die Hilfe, die du benötigst und es ist keine Schwäche sie in Anspruch zu nehmen. Um ehrlich zu sein, ist es sogar sehr mutig und beweist große Stärke.
Ich werde meiner Mitbewohnerin auf ewig unendlich dankbar sein, dass sie in dieser Nacht so aufmerksam war und mich am Leben gehalten hat. Sie hat meinen Wert gesehen, als ich es nicht konnte. Sie erkannte die Wahrheit, als ich sie nicht greifen konnte. Sie weigerte sich hinzunehmen, dass Selbstmord noch einmal eine Rolle in meinem Leben spielen würde. Lass Selbstmord nicht zu deiner Geschichte werden. Du bist wichtig. Du wirst geliebt. Das Leben wird besser werden.
Wenn du mehr über Suizid und darüber, wie man jemandem mit Suizidgedanken helfen kann, erfahren möchtest: https://www.frnd.de/suizid/
Wenn du sofort Unterstützung brauchst, kannst du hier nachlesen, wie und wo du dir Hilfe holen kannst: https://theoceaninyourmind.de/hilfe/
Dieser Artikel ist aus dem Englischen übersetzt und im Original zu lesen unter: https://themighty.com/2016/05/to-anyone-contemplating-suicide/
Wenn du gerade selbst mit Angst, Depressionen oder anderen psychischen Herausforderungen kämpfst, haben wir hier für dich die ersten Hilfemöglichkeiten aufgeschrieben und auch einen Brief an dich geschrieben. DU kannst auch andere ermutigen, erzähle Deine Geschichte! Wir freuen uns auch riesig über deine Nachricht oder deinen Kommentar! Wenn dir der Blog gefallen hat, kannst du ihn natürlich gerne liken, teilen und uns auf Facebook und Instagram folgen @theoceaninyourmind.
12 Responses
Ich kann dich verstehen will auch sterben!
Es gibt Hilfe, du bist nicht allein! Das Leben hat noch viel Gutes zu bieten!
bin gerade auch in einem Tiefpunkt. komme nicht mehr weiter, fühle mich alleingelassen und gestresst.
Du bist nicht allein und es gibt Hoffnung! Lass dir helfen und gib nicht auf!
Ich muss auch nur immer Scheisse fressen, hab so genug davon und ich mag nicht mehr hoffen!!!
Gib nicht auf und kämpfe weiter! Du bist liebenswert und es lohnt sich zu kämpfen und zu hoffen! <3
Ich war bis vor vier Jahren der glücklichste Mensch. Ein hartes Schicksal brachte mich zum Suizid der misslang. Es folgten durchgängig 2 Jahre Psychiatrie in der ich es einmal geschafft hatte einen weiteren Versuch zu unternehmen. Der Freiheitsentzug war noch schlimmer als das was ich erlebt hatte. Nun bin ich frei und denke jeden Tag warum ich nicht sterben durfte. Ja, ich bin wertvoll usw. Doch ich bin auch müde, einfach nur lebensmüde und unsagbar traurig. Das geht nicht weg. Diesen Zustand ertrage ich seit vier Jahren. Habe alles an Therapien, Medikamenten usw. durch. Manchmal ist der Geist nicht wie es so schön unter den Psychiatern heißt „eingeengt“ sondern einfach nur platt und k o.
Danke, dass du so offen und ehrlich deine Gefühle mit uns teilst. Wir fühlen mit dir! Wir ermutigen dich weiterzukämpfen und nicht aufzuhören auf bessere Zeiten zu hoffen. Wenn du Redebedarf hast, darfst du uns gerne auf Facebook oder Instagram eine Nachricht schreiben. Alles Gute dir!
Danke für den Artikel! Ich hoffe, dass er vielen Menschen helfen wird! Was aber, wenn es nicht wieder gut werden kann? Mein Sohn ist gestorben. Er wird auch in 20 Jahren nicht wieder bei mir sein. Nicht solange ich hier Tag für Tag überleben muss..
Liebe Tina, Dein Verlust tut mir Leid! Der Tod eines geliebten Menschen ist unverständlich und lässt uns fragend, wütend, verzweifelt, zweifelnd und gebrochen zurück. Ich wünsche Dir jeden Tag neue Kraft und neuen Mut und Menschen, die dir zur Seite stehen, um irgendwie damit umgehen zu können. Du bist nicht allein.
ich bin müde und möchte den ewigen schlaf
ich kann nicht mehr
ich kann nicht mehr streieten ich kann nicht mehr kämpfen
ich bin müde
Danke für Deine Nachricht. Wir möchten Dir Mut machen, nicht aufzugeben. Es werden bessere Zeiten kommen und Du bist nicht allein! Gib nicht auf, der Kampf lohnt sich. Auch wenn Du vielleicht gerade das Ziel nicht sehen kannst. Du kannst uns jederzeit gern eine Nachricht dalassen. Du wirst bessere Zeiten erleben dürfen. Alles Gute.