Die meisten Tage funktioniere ich. Ich wache auf, mache etwas Yoga, ziehe mir meine Klamotten an, gehe zur Arbeit und arbeite hart. Niemand bemerkt, dass etwas nicht richtig ist. An manchen Tagen ist auch alles gut. Aber an vielen Tagen ist es wie ein gut geprobtes Schauspiel. Ich lebe mit einer schweren Depression. An manchen Tagen schaffe ich es nicht mal aus dem Bett und mein größter Erfolg ist es mich nicht selbst zu verletzen.
Das einzig gute an meiner Krankheit ist, dass ich sie relativ gut verstecken kann. Aber auf eine gewisse Weise ist das auch immer ein Fluch gewesen. Wenn ich meinen Kampf verbergen konnte, dachte ich, das wäre gut so. Wenn ich so aussehe als würde ich funktionieren, dann ist meine psychische Krankheit vielleicht eigentlich gar nicht real. Vielleicht muss ich mich nur mehr anstrengen. Wenn andere Menschen es selbst nicht sehen können, dann wäre es falsch von mir sie mit meiner unsichtbaren Krankheit zu belasten.
Also bin ich ziemlich leise geblieben und habe es über Jahre so gut wie möglich versteckt. Manchmal musste ich etwas sagen. Ich konnte nicht zur Arbeit oder brauchte jemanden der mich ins Krankenhaus fährt. Aber ich habe gelogen – ich hatte nur eine Erkältung, nicht lähmende Depressionen. Oder ich habe es so klein geredet wie ich konnte. Am nächsten Tag bin ich aufgesetzt fröhlich wieder aufgetaucht um alle zu versichern, dass es mir gut ginge. In dieser Zeit fühlte ich mich immer einsamer.
In einer Kirche zu sein, hat es nicht unbedingt einfacher für mich gemacht. Auch wenn es immer noch größtenteils ein Tabuthema ist, ist es in manchen Kirchen OK über Depressionen oder Angst zu reden. Aber man redet eher über die kleinen psychischen Krankheiten, durch die leider viel zu viele Menschen gehen. Ich will es nicht klein reden oder unbedeutend nennen; auch „milde“ Depressionen oder generelle Angst kann ein Kampf sein. Aber das beschreibt nicht wirklich das, was ich erlebt habe.
Wir fangen an darüber zu sprechen, wie man mit den üblichen Gefühlen von Depression und Angst umgeht. Wir reden aber nicht über psychiatrische Einrichtungen und Krankenhäuser. Wir reden nicht darüber, dass die Polizei kommt und dich in Handschellen abführt. Wir reden nicht über Selbstverletzung und Selbstmordversuche. Wir reden nicht über Elektrokrampftherapie. Wir sprechen nicht über Kämpfe die über Jahre gehen, oder sogar ein ganzes Leben: Schizophrenie, bipolare Störung, schwere und chronische Depressionen.
Und sollten sie erwähnt werden, dann reden wir über „die Anderen.“ Die armen Obdachlosen, Inhaftierten oder Menschen in Wohngruppen. Auf keinen Fall die Person neben mir im Gottesdienst. Wie das Sprichwort sagt, wenn du mit dem Finger auf jemand anderen zeigst, zeigen drei Finger auf dich. Wie könnten die Leute neben mir etwas wissen, wenn ich nichts sage? Wenn ich mich immer bemühe meine Krankheit zu verstecken?
Ich wünschte ich könnte dir genau sagen, was mir den Mut gegeben hat zu sprechen. Jeder liebt eine gute Anleitung. Aber es hat Jahre gedauert und lässt sich nicht so leicht nachvollziehen. Es gab immer Menschen in meinem Leben die mir viel Liebe und Support gegeben haben. Mein bester Freund hat in den letzten neun Jahren mehr Anrufe angenommen, als man jemals hätte erwarten können. Mein Therapeut stand immer geduldig an meiner Seite in vielen schwierigen Zeiten. Meine Pastorin saß mit mir bis 3Uhr morgens in einer Notaufnahme und ließ mich an ihrer Schulter weinen. Außerdem hat Teil einer Kirche zu sein, deren Kernwert „Gott kennt und liebt dich“ ist, langsam die selbsthassende Stimme der Depression ersetzt.
Als ich meiner Kirche beigetreten bin, wurde ich herausgefordert über meine selbstzerstörerischen Gewohnheiten nachzudenken, insbesondere das Ritzen. Ich konnte eine Friedenskirche und Gewalt gegen mich selbst nicht zusammenbringen. Als guter Millenial, war ich mir sicher die Antwort im Internet zu finden und habe einige Kombinationen von „Pazifist“ und „Selbstverletzung“ gegoogled. Aber als das Internet mich im Stich ließ, habe ich den Mut gefunden mit meiner Pastorin zu sprechen. Selbstverletzung war so peinlich für mich, dass ich eine schmerzhafte, schreckliche Unterhaltung erwartete. Aber stattdessen bekam ich eine unfassbar mitfühlende Antwort.
Meine Geschichte zu erzählen war lebensverändernd. Es ist nicht ganz das Wunder, was ich mir gewünscht hätte. Ich wollte das meine psychische Erkrankung sofort und für immer verschwindet. Aber es ist immer noch ein Teil meines Lebens. Ich habe es kaum aus dem Bett geschafft heute morgen. Aber ich bin nicht annähernd so alleine.
Jills Geschichte ist frei übersetzt aus dem englischen und erschien im Original am 18.08.2016 auf TheMennonite.org.
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