Carissas Geschichte

Achtung, dieser Text behandelt explizit das Thema sexueller Missbrauch.

 

Auf einmal kommt alles wieder hoch. Erinnerungen, die ich 10 Jahre verdrängt hatte, sind wieder da. Ab und zu begegnete ich dem einen oder anderen Trigger, bekam es allerdings hin, die Bilder schnell wieder irgendwo in meinem Kopf verschwinden zu lassen.

Früher war verdrängen einfacher. So viele Fragen, auf die ich keine Antwort finde, fliegen in meinem Kopf herum, kommen näher und verschwinden dann wieder. Sie sind nie weit entfernt, verstecken sich meist tief in meiner Seele und tauchen dann plötzlich wieder auf.

 

Unser kleines, dunkles Geheimnis

Ich war 9 oder 10 Jahre alt, als mein Cousin mich vergewaltigte. Was er mit mir machte wurde zu unserem kleinen Geheimnis. Bis heute habe ich auf die Frage, was er denn mit mir gemacht habe, nie so wirklich geantwortet. Niemandem.

Wir waren im Sommer bei seiner Familie im Ausland zu Besuch. Es dauerte 6 Jahre, bis ich an diesen Ort zurückkehrte, da meine Cousine dort Hochzeit feierte. Ich hatte also keine andere Wahl, als meine Familie zu begleiten.

Ich stand wieder in diesem Zimmer, seinem Zimmer, in dem wir abends alleine waren. Er massierte meine Schultern, streichelte über meine Arme, ließ seine Finger ganz langsam über meine Haut streifen, über meinen Hals, mein Gesicht.

Er fing an mich zu küssen. Er wollte mich nicht erschrecken, machte es ganz langsam und zärtlich, als würde er mich lieben. Doch er wurde immer mutiger, ging einen Schritt weiter. Er habe „es’’ noch nie gemacht, flüsterte er mir ins Ohr, er war ja auch erst 15 Jahre alt.

Am schlimmsten waren seine Befehle, seine Kontrollsucht. Ich sollte mich ausziehen und hinlegen. Er berührte mich, ging weiter als zuvor. Ich musste ihn auch anfassen, ihn befriedigen. Ich war ihm hilflos ausgesetzt, tat was er mir sagte. Ich stellte seine Befehle nicht in Frage, warum sollte er mir auch weh tun wollen?

 

Ein Spiel, dass über Jahre andauerte

In meinen Erinnerungen sehe ich mich manchmal aus einer anderen Perspektive. Als wäre nicht ich das Mädchen, das gerade sein Glied im Mund hat und sein Sperma schlucken muss.

Die Abende kamen mir immer so unendlich lang vor. Manchmal konnte ich die Tränen nicht zurück halten, da seine Stöße gegen mein Becken sehr schmerzten. Er ignorierte, dass er mir wehtat.

Ich wusste nicht, dass diese 3 oder 4 Wochen Ferien alles verändern würden. Wir spielten unser Spiel irgendwann nicht mehr nur abends, manchmal versteckten wir uns auch mittags. Dieses Versteckspiel vor der Wahrheit, das ich nach 10 Jahren immer noch mitspielte.

 

Ich glaubte, Alkohol und Drogen könnten mich befreien

Einer der schwersten Schritte ist Akzeptanz. Sich selbst zu glauben. Zugeben, dass diese Geschichte ein Teil meines Lebens ist, fiel mir schon immer besonders schwer. Es ist jedoch ein sehr wichtiger Schritt Hilfe zu suchen, wenn man etwas verändern möchte.

Sehr lange glaubte ich, Alkohol und Drogen wären mein einziger Ausweg. Ich merkte gar nicht, dass sie alles nur noch schlimmer machten und ich mich auslieferte, zum leichten Opfer wurde.

 

Ich konnte mich dem Spiel nicht ganz entziehen

Ich kann mir bis heute nicht richtig erklären warum ich es tat, aber ich fragte ihn, meinen Cousin, auf einer Party, ob er bei mir übernachten möchte.

Ich lud ihn in mein Zimmer ein, dort wo er „es“ zwei Jahre zuvor, im folgenden Sommer wieder versucht hatte. Damals ließ ich seine Küsse nicht zu, als er auf mir lag und mich bat mit ihm zu schlafen. Damals waren wir nicht alleine, ich konnte ihn überzeugen, dass das Risiko erwischt zu werden, zu hoch sei.

An jenem Abend ignorierte ich unser Geheimnis. Seine Küsse wurden schnell unerträglich. Ich verlor meine so ersehnte Kontrolle. Er zog mich aus, drückte mich aufs Bett und fing an. Es kam mir so vor, als fühlte ich nichts mehr. Ich ließ es einfach über mich ergehen.

Als er mir wieder Befehle erteilte, hielt ich es nicht länger aus. Ich bekam Panik, glaubte jemanden gehört zu haben, ertrug das alles keine Sekunde länger. Ich bat ihn aufzuhören, drückte ihn weg. Er umklammerte mich, versicherte mir nichts gehört zu haben.

Es gelang mir, ihn davon zu überzeugen aufzuhören. Wenn auch nur bis zum nächsten Morgen. Er weckte mich, streichelte meinen Bauch und ließ seine Hand in meine Unterhose gleiten.

Nein. Nicht schon wieder. Ich musste ihn stoppen, konnte es nicht mehr ertragen. Er wurde wütend, gab mir die Schuld und verließ mein Zimmer.

 

Mich zu öffnen war der einzige Ausweg

Lange blieben auch diese Erinnerungen tief in mir verborgen. Ich fiel in ein großes schwarzes Loch, konnte kein Ende sehen. Alkohol half mir Gedanken zu unterdrücken, die jedoch immer wieder kamen. Ich fühlte mich so allein und wusste nicht ob, geschweige denn wie ich aus diesem Loch je wieder rauskommen sollte.

Ich habe viele weitere Fehler gemacht und falsche Entscheidungen getroffen, die mir das Leben noch schwerer machten. Heute bin ich bereit, den richtigen Ausweg zu wählen. Ich bin nicht allein, irgendwie habe ich es geschafft mich zu öffnen, Erinnerungen meiner Vergangenheit mit meinen besten Freunden zu teilen.

 

Leiden ist leichter als Handeln

Es ist nicht einfach sich professionelle Hilfe zu suchen. Vor allem, da niemand aus meiner Familie Bescheid weiß. Aber die Entscheidung, das Problem endlich lösen zu wollen, bringt etwas Erleichterung mit sich. Etwas Hoffnung. Vielleicht wird es irgendwann normal sein.

Es war sicherlich auch nicht leicht, anderen Menschen diese Macht zu geben, dieses Wissen über etwas so Persönliches, die eigene Vergangenheit. Ich wurde von manchen Freuden sehr enttäuscht, einfach im Stich gelassen. Ich fühle mich auch heute oft noch nicht gut genug.

Risiko eingehen, heißt Gewinnen und Verlieren. Ich fand heraus, wer meine wahren Freunde sind, die mich so lieben wie ich bin. Ich vertraute ihnen und fing an zu akzeptieren, zu heilen, wenn auch sehr langsam.

Jedes Mal, wenn ich den Boden unter den Füßen nicht mehr spüren kann, sage ich mir diesen Satz immer und immer wieder: „Leiden ist leichter als Handeln“. Ich sage mir, dass auch ich ein normales Leben verdient habe und dafür kämpfen muss.

 

 

Falls du von sexuellem Missbrauch betroffen bist findest du hier Hilfe: www.hilfeportal-missbrauch.de

 


Wenn du gerade selbst mit Angst, Depressionen oder anderen psychischen Herausforderungen kämpfst, haben wir hier für dich die ersten Hilfemöglichkeiten aufgeschrieben und auch einen Brief an dich geschrieben. DU kannst auch andere ermutigen, erzähle Deine Geschichte! Wir freuen uns auch riesig über deine Nachricht oder deinen Kommentar! Wenn dir der Blog gefallen hat, kannst du ihn natürlich gerne liken, teilen und uns auf Facebook und Instagram folgen @theoceaninyourmind.

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