Endlich in Therapie – Annabelles Geschichte

Therapie, Behandlung, Depression, Heilung,

Ich bin Annabelle, 34 Jahre alt, geschieden, Projekt-Managerin und studiere nebenberuflich. Ich bin vor 7 Jahren von Deutschland nach Österreich gezogen und möchte gern Menschen mit meiner Geschichte helfen, einen Ausweg zu finden. Schlafstörungen, das Gefühl von Wertlosigkeit, fehlende Konzentration, Appetitminderung, vermindertes Selbstwertgefühl, Suizidgedanken – die Depression ist seit meinem 13. Lebensjahr mein stetiger Begleiter.

„Ich weiß gar nicht, warum du so wenig Selbstbewusstsein hast. Jetzt hab doch mal ein wenig mehr Selbstwertgefühl.“

Schon früh habe ich mich nicht gut, nicht schön genug gefühlt. Ich habe mich immer und stetig mit allen anderen Menschen verglichen und hatte schnell immer etwas an mir auszusetzen. Ob es meine Optik, mein Verhalten oder meine schulischen Leistungen waren. Es gab immer etwas, was mich störte und was ich als unzureichend empfand. Immer und immer wieder gab ich mir die Schuld – an schlechten Noten, wenn ein Junge sich vielleicht nicht in mich verliebte, Enttäuschungen seitens der Familie und der Eltern. Schnell bezog ich alles direkt auf mich und machte dadurch den Menschen aus mir, der ich jetzt bin. Eine 34-jährige Frau, die sich endlich (ja, ich sage bewusst endlich) in Therapie befindet.

Bereits im Kindesalter war ich schnell unsicher, habe alles was Negatives in meinem Umfeld passierte nur auf mich bezogen und hatte bereits früh Schlafstörungen – weil mein Gehirn einfach non-stop, wie ein Karussell, arbeitete. Mit 13 Jahren begann ich meine Gedanken aufzuschreiben, weil mir das Ventil für all die schlechten Emotionen fehlte und ich das Gefühl hatte zu ersticken. Gleichzeitig begann ich auch mit den Selbstverletzungen. Ich ritzte mich nicht aus der Hoffnung heraus, dass es Jemand sah oder ich es als eine Art Hilferuf verstand. Ganz im Gegenteil – ich trug im Sommer langärmlige Kleidung, aus Angst, dass es Jemand tatsächlich sah und mich für schwach hielt. Ich war doch immer das humorvolle, starke und hilfsbereite Mädchen ohne Probleme.

Für mich war es eine Art der Emotionsregulation, ich spürte mich dadurch, ich merkte, ich war noch am Leben, ich kann etwas steuern – es fühlte sich an wie atmen. Es war nicht so, als wäre ich unbeliebt gewesen, überhaupt nicht. Am meisten von allen Menschen verachtete ich mich selbst. Auf Kraft und mit emotionaler Erpressung versuchte ich Beziehungen aufrecht zu erhalten, aus Angst, wieder allein und wertlos zu sein. Der Prozess der Selbstverletzung war eine Achterbahnfahrt. Mal ging es mir besser, mal wieder so schlecht, dass meine Arme und Beine mit Schnitten übersäht waren. Meist abhängig von dem Verhalten und den Worten anderer Menschen. Sobald die kleinste Kritik oder ein Fehlverhalten kam, griff ich zur Rasierklinge, zum Messer oder zur Nagelschere. Begleitet von dem schlechten Gewissen und den Narben an Armen und Beinen, die bis heute ein Teil von mir sind. Eine kleine Erleichterung schaffte mir der Auszug, direkt nach dem Abitur – Freiraum und Luft zum Atmen für meine Seele. Kein Druck, keine Worte, einfach nur ich. 

„Jetzt iss doch mal was!“

Es schien bergauf zu gehen, bis ich mich von einer toxischen Beziehung in die Nächste warf und nach dem gefühlt 10. Betrug eines Mannes anfing zu hungern. Ich nahm innerhalb von 2 Wochen 10 kg ab. Und es war ein tolles Gefühl. Die Aufmerksamkeit, die netten Worte, das Gefühl, etwas Gutes geschaffen zu haben. Ich aß über Wochen einen Corny am Tag und trank nur noch zuckerfreie Getränke. Das ging natürlich nur so lange bis der Körper laut „STOP“ schrie und ich mit Verdacht auf Schlaganfall ins Krankenhaus kam. Mein Körper war völlig im Arsch. Ich war zwar dünn, was ich ja unbedingt sein wollte, hatte aber keine Konzentration mehr, war zickig, eigentlich noch unzufriedener als vorher und hatte mich und meinen Körper kaputt gemacht.

Das Regulieren meiner Emotionen gelang mir nur noch durch exzessiven Alkoholkonsum am Wochenende und der Kontrolle meines Essverhaltens. Nach meinem Aufenthalt in der Notaufnahme begann ich wieder zu essen – erbrach es aber täglich wieder. Ich hasste das Völlegefühl, das Gefühl von Nahrung in meinem Körper.

„Du suchst dir aber auch einfach immer die falschen Männer aus!“

Mit mal eher guten und auch wieder schlechten Beziehungspartnern glich die Essproblematik einem Auf und ab. Ein paar Monate ging es gut, dann wurde ich wieder rückfällig. Ich ritzte mich nicht mehr, aber das selbstverletzende Verhalten hatte jetzt eine andere, eine heimlichere, Form angenommen. Aber nie sah ich es als notwendig, das Problem zu beheben. Es ging ja alles irgendwie. Ich war fit, ich kam klar, hatte einen guten Job. Mit 29 Jahren hab ich geheiratet. Ich weiß bis heute leider nicht, ob es tatsächlich aus Liebe war oder ob ich einfach nur meinem Alter gerecht und verheiratet, nicht allein sein wollte. Glücklich war ich in 7 Jahren Beziehung nicht. Ich wurde selten rückfällig, mein Ex-Mann wusste jedoch auch über die Problematik Bescheid und warf immer wohlwollend ein Auge darauf. Auch hier funktionierte wieder Einiges nicht, weshalb ich mich im vergangenen Frühling zur Scheidung gezwungen sah. Zunächst fühlte ich mich frei, dachte ich kann endlich neu starten, doch kurz darauf geriet ich wieder in alte Muster. Ich trank viel, aß wenig, übergab mich, ich war wie in einer Negativspirale gefangen.

Meine heutige Therapeutin war meine Rettung. Im letzten Jahr waren wir mit meinem Ex-Mann, der eine kleine Spielproblematik hatte, in einer Einrichtung für Suchterkrankte. Als unser Therapeut in Rente ging, schrieb er mir eine WhatsApp, ob ich noch etwas bräuchte bevor er sich verabschiedete. Ich? Warum ich? Warum sollte ich etwas brauchen? Das war zumindest mein erster Gedanke. Seine Nachricht kam Mitten im Scheidungsprozess, in dem ich, meinem Empfinden nach, an meinem persönlichen Ende angelangt war. Weinend schrieb ich ihm nur „Ja. Wir haben uns scheiden lassen und ich bin in alte Muster verfallen.“ Ich kann mir seine Nachricht bis jetzt nicht erklären, aber ich glaube bis heute noch, dass es Schicksal und eine Fügung war. Sofort empfahl er mir seine Nachfolgerin, die sich insbesondere mit Essstörungen auskennt und nach 2 oder 3 Wochen hatten wir bereits den ersten Termin.

Jetzt bin ich mittlerweile seit einem dreiviertel Jahr, einmal die Woche, in therapeutischer Behandlung. Mein problematisches Essverhalten ist nur eines der Symptome, mit der sich eine Depression klassifizieren lässt. Von Beginn der Therapie an, war es klar, dass es ein langer Weg wird. Und es war auch klar, dass es gute und schlechte Tage geben würde. Häufig saß ich in der Sitzung, bin ich Tränen ausgebrochen und habe mich laut gefragt „Womit haben ich das verdient? Warum kann ich nicht einfach glücklich sein? Warum muss ich jeden Tag so hart dafür kämpfen?“. 

„Rede!“

Ich habe angefangen offen, auch in meinem privaten und beruflichen Umfeld, damit umzugehen. Ja, ich habe mir Hilfe gesucht, weil ich sie dringend brauche. Ja, ich habe ein problematisches Essverhalten und ja, ich bin nicht so glücklich wie ich nach außen hin scheine. Ich hatte das Glück, dass mein Umfeld das Ganze sehr positiv aufgenommen hat und ich mittlerweile die Unterstützung erfahre, auf die ich viele Jahr so insgeheim gehofft habe. Es war eine Art Befreiungsschlag, das erste Mal zu gestehen, ich bin nicht so stark wie ich wirke, ich habe Probleme.

Ich muss mich vor Niemandem mehr verstecken, ich muss der Welt nicht mehr etwas vorspielen was ich nicht bin. Im Februar habe ich meinen ersten Termin, um medikamentös eingestellt zu werden. Meine Stimmungslage ist mir persönlich noch zu schwankend und zu sehr im extremen Bereich. Ich will wieder mehr Lebensqualität erlangen und sehe das aktuell als einen, für mich, guten Weg.

Mir ist wichtig mitzugeben, dass eine Therapie nicht zu unterschätzen ist. Man steigt hoch und man fällt auch wieder tief. Aber auch das gehört dazu. Man muss kämpfen, um gesund zu werden. Es gibt Tage, an denen man müde sein wird, an denen man nur weinen will. Aber es wird besser. Wir müssen lernen, mit unserer Persönlichkeit und damit verbundenen Schwierigkeiten umzugehen. Manchen fällt es eben einfacher und manchen Menschen schwerer. Aber das Leben ist schön. Man muss nur genau hinschauen. Und auch wenn man das Gefühl hat, Alles alleine schaffen zu können oder zu müssen – NEIN. Das muss man nicht. Redet mit Jemandem, auch wenn es vielleicht kein Therapeut oder Psychiater ist. Aber redet oder schreibt darüber. 






Wenn du gerade selbst mit Angst, Depressionen oder anderen psychischen Herausforderungen kämpfst, haben wir hier einen Brief an dich geschrieben. DU kannst auch andere ermutigen, erzähle Deine Geschichte! Wir freuen uns auch riesig über deine Nachricht oder deinen Kommentar! Wenn dir der Blog gefallen hat, kannst du ihn natürlich gerne liken, teilen und uns auf Facebook und Instagram folgen @theoceaninyoumind

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