Falls du selbst mit Selbstverletzung zu kämpfen hast könnte dieser Text triggernd auf dich wirken, bitte pass auf!
Ich bin Raphael, 23 Jahr alt, verheiratet mit einer wunderschönen Frau. Ich arbeite in einer Kirche als Veranstaltungstechniker und habe diese Seite hier ins Leben gerufen. Das ist meine Geschichte:
Wie alles angefangen hat
Ich weiß nicht genau wie alles angefangen hat. Mit ca 12 Jahren fing ich an mich selbst zu verletzen. Ich hatte schon eine ganze Zeit lang Depressionen und kämpfte mit meiner Einsamkeit. Erst war Lego mein bester Freund, später dann mein Computer. Irgendwie habe ich nicht reingepasst. Ich war zwar der Klassenclown, aber wurde dadurch eher ausgenutzt. Ich glaube nicht, dass das irgendjemand böse gemeint hat, also so im Nachhinein. Irgendwie war ich einfach eher nicht so der Mensch, der dazu gehört hat.
Vieles wurde durch mein ADHS und die Tabletten dagegen auch nicht besser, am Tag war ich appetitlos und am Abend umso depressiver, wenn die Wirkung der Tabletten nachließ. Ich habe Stück für Stück angefangen mich selbst zu hassen- dafür, dass ich alleine war, dafür dass ich so komisch war, dafür dass ich mich selbst verletzte und dafür dass ich mich hasste. Aus dem Selbsthass wurden Suizidgedanken.
Der Ozean in meinem Kopf
Oft sind die Gedanken wie ein großer Ozean in unserem Kopf und wir in einem kleinen Boot mittendrin. Angst und Hass sind wie Stürme und erzeugen riesige Wellen. Vielleicht kannst du dir vorstellen wie sich das anfühlt, wenn man merkt, man hat seine Gedanken nicht mehr unter Kontrolle und ist dem riesigen Chaos alleine ausgesetzt.
Das war die Situation in der ich jeden Tag gelebt habe. Wie diese Stürme angefangen haben, jeden Tag wieder, ist schwer zu sagen. Oft war am Morgen alles gut, aber irgendwann am Tag war ich plötzlich gefangen auf einem stürmischen Ozean. Rechtzeitig bemerkt habe ich es eigentlich nie, oder manchmal sogar darauf angelegt, wer weiß.
Für viele sind Depressionen irgendwie noch nachvollziehbar, weil sie denken, es ist einfach nur eine große Traurigkeit. Bei Selbstverletzung hört eigentlich bei allen das Verständnis auf, die nie selbst damit zu kämpfen hatten. Ich versuche dir mal zu erklären wie sich all das bei mir entwickelt hat: Als sich aus Angst, Selbsthass und Einsamkeit ein Sturm entwickelt hat, konnte ich nichts anderes mehr sehen. Nichts außer den Wellen meiner Gedanken, die drohten mich herunterzuziehen. Nichts außer der Angst und der Überforderung. Nichts außer Einsamkeit und Hass.
Aus Selbstverletzung wurde eine Sucht
Vielleicht kannst du dir vorstellen, dass man in so einem Moment nach einem Anker oder einem Licht am Horizont sucht. In all dem Chaos war für mich der körperliche Schmerz etwas, das außerhalb dieses Ozeans lag, etwas, an dem ich mich festhalten konnte. Ich konnte Blut sehen, anstelle von Wellen. Für einen kurzen Moment Schmerz spüren statt den Wellengang, das Chaos und die Angst. Natürlich weiß man irgendwie, dass es nicht gut ist, aber die kurze Entspannung, kurz nicht in seinen Gedanken gefangen zu sein fühlt sich für den Moment gut an.
Wenn dieser Schmerz immer wieder das einzige ist, was dich für kürzer oder länger aus dem Chaos raus holt, wird der Schmerz dein Freund, dein Zufluchtsort und du fängst an dich auch „grundlos“ zu verletzen weil es dir irgendwie Ruhe gibt. Die kurze Ruhe, der Schmerz, das Gefühl sich selbst zu spüren wird zu einer Sucht. Es wird etwas, das du kennst, das dir vertraut ist, auch wenn du weißt, dass es nicht das Beste ist. Ich denke Vielen geht es ähnlich, die in selbstzerstörerischen Mustern gefangen sind.
Borderline Persönlichkeitsstörung
Ich wurde im Alter von 17 Jahren mit Borderline Persönlichkeitsstörung diagnostiziert. Das war irgendwie Segen und Fluch zugleich. Ich wusste ungefähr, was los mit mir ist und dass ich nicht der einzige bin, dem es so geht. Aber ich habe auch angefangen Symptome zu entwickeln von denen ich einfach nur gelesen hatte.
Ich habe angefangen ein Selbsthilfebuch zu lesen und bin für kurze Zeit in eine Therapie gegangen. Dort habe ich ein bisschen über Skills gelernt und probiert das HIER mal aufzuschreiben. Ich hatte Freunde und Familie, die alle ihr Bestes gegeben haben. Meinen größten Durchbruch hatte ich bei einem Seelsorger aus meiner Kirche, ich konnte über viele Dinge reden und beten, über die ich mich nie getraut hätte auch nur nachzudenken.
Hoffnung ist berechtigt
Ich durfte lernen, dass Hoffnung ein Anker in dem Ozean sein kann. Die Hoffnung, dass der Sturm vorbei geht, die Hoffnung, dass bessere Tage kommen, die Hoffnung, dass der Schmerz nur vorübergehend ist. Ich durfte lernen, dass diese Hoffnung berechtigt ist. Als ich gesehen habe, dass andere es geschafft haben ihre Depressionen und ihre Sucht sich selbst zu verletzen zu überwinden, hat es mich so sehr ermutigt.
Inzwischen bin ich seit vier Jahren frei von Depressionen und Selbstverletzung. Ich hatte immer wieder Rückfälle in die Selbstverletzung und auch immer wieder mit Depressionen zu kämpfen. Ich sage aber bewusst ich bin frei, weil ich glauben möchte, dass die Zeiten in denen es mir gut geht meine „normalen“ Zeiten sind und irgendwann die Depressionen nicht mehr zurück kommen!
Wenn du gerade diese Stürme in deinem Ozean hast, lass mich dir sagen: ich war dort, ich weiß wie es sich anfühlt, ich kenne den Schmerz, aber du bist nicht allein! Die guten Tage liegen vor dir! Hoffnung ist real!
Wenn du gerade selbst mit Depressionen oder anderen psychischen Herausforderungen kämpfst, haben wir hier für dich die ersten Hilfemöglichkeiten aufgeschrieben und Raphael hat einen Brief an dich geschrieben. DU kannst auch andere ermutigen, erzähle Deine Geschichte! Wir freuen uns auch riesig über deine Nachricht oder deinen Kommentar! Wenn dir der Blog gefallen hat, kannst du ihn natürlich gerne liken, teilen und uns auf Facebook und Instagram folgen @theoceaninyourmind.
4 Responses
Berührend und sehr ermutigend.
Wir finden dich toll und freuen uns das du zu unserer Familie gehörst.
Du bist immer willkommen und hoffentlich haben wir noch viele schöne Stunden zum gemeinsamen feiern.
Krass wie ähnlich Geschichten verlaufen können. Ich bin 22 Jahre alt und habe mit dem Thema Selbstverletzung und depressive Gedanken zu tun seit ich 15 war. Ich bin seit zwei Jahren in Therapie und trotzdem kriege ich es nicht hin offen und ehrlich in meinem Umkreis zu sein. Die Angst anderen Sorgen zu machen und ein Belastung zu sein ist zu groß. Zudem habe ich Angst vor Verständnislosigkeit..
Ich hoffe, dass ich auch Mal so stark bin wie Du und dass ich so über meine Vergangenheit reden kann.
Ich wünsche dir nur das Beste und Gottes Segen!
Vielen vielen Dank für dein Feedback!!
Wenn du magst darfst du uns gerne auch anonym deine Geschichte erzählen oder uns auf Facebook anschreiben. Mir hat es sehr geholfen meine Geschichte nochmal schriftlich zu verarbeiten.
Liebe Grüße – Raphael